Dreimal Dreitausend: Schneeschuhtouren am Westfalenhaus, 18.02. - 22.02.2015

Die zweieinhalb Stunden Aufstieg vom Parkplatz in Lüsens hinauf zum Westfalenhaus sind nicht anstrengend, aber du bist doch froh, wenn du die Hütte der Sektion Münster erreicht hast. Wir waren ja alle früh aufgestanden für diese 5-tägige Schneeschuhtour in den nördlichen Stubaier Alpen. Die Anfahrt von Stuttgart war gut verlaufen.
Da gehst du dann gut gelaunt gleich hinein in die warme Gaststube und freust dich auf ein gemütliches Plätzchen und ein Stück Topfenstrudel. Bevor du dich aber umschaust, steht er schon vor dir: Ernesto, der Patrone der Hütte. Und mit den ersten Worten verrät er seine italienische Herkunft. Die Schneeschuhe bleiben draußen! Und nein, nicht hier setzt du dich hin, sondern dort, das ist euer Tisch. Das kommt genau so, daß du sofort weißt: Widerstand zwecklos, nicht einmal ein Nachfragen traust du dich mehr…

 

Den Charme einer Hütte macht meist weniger das Haus selber aus, die Einrichtung oder wie die Lager so sind. Das Wichtigste ist doch der Wirt und da hab ich schon manche erlebt, die einem den Aufenthalt so richtig vergällen können. Wir wollen vier Nächte auf dieser Hütte bleiben und haben uns für jeden Tag einen Dreitausender vorgenommen. Zusammen mit unseren Tourenführern, Klaus Rohn aus Weinstadt und Rainer Brucker aus Köngen sind wir 13 Leute. Unser Gepäck für die fünf Tage haben wir die 850 Höhenmeter hinaufgetragen und wer hat sich nicht gedacht, ob das eine oder andere Stück darin wohl doch unnötig war; die Rücksäcke haben am Schluss ganz schön gezogen.

Nun sind wir rechtschaffen müde. Du tust also wie befohlen: Schuhe in den Trockenraum und dann unters Dach, das Lager beziehen. Die Hütte ist vor ein paar Jahren grundsaniert worden, alles ist neu und wir fühlen uns hier gleich wohl. Weiß jemand, wo die Schneeschuhe hin sollen? Frag mal nach! Ich traue mich. In den Skiraum und Ernesto zeigt nach unten. Keller? Ja. Und wie komme ich da hin? Von außen- oder soll ich für dich ein Loch in die Decke schlagen!!! Ich stehe noch völlig ratlos da und dann plötzlich doch Erbarmen seinerseits: Ich zeige dir. Und er geht mit mir hinaus um das Haus herum zum Skiraum, erklärt mir alles ganz geduldig und ist wieder verschwunden.

 

Zum Eingehen hat sich Klaus den Winnebacher Weißkogel (3.189m) vorgenommen. Die Verhältnisse an diesem Tag sind ideal: Klarer Himmel, Temperaturen um die 7°C Minus, genügend Schnee und sehr geringe Lawinengefahr. Die Sonne hat den Weg zur Hütte noch nicht gefunden. Wir gehen den direkten Weg Richtung Westen. Die erste halbe Stunde geht es leicht hinauf. Wir queren ein paar kleine ältere Lawinenfelder, mancher quält sich kurz über das eisige Schneegeröll. Vor dem Winnebachjoch steilt der Weg kurz an- und dann ist die Sonne da. Hier eine kleine Rast, Fotopause und die warme Jacke in den Rucksack. Auf der anderen Seite liegt weit unten die Winnebachseehütte und auch von da kommt eine kleine Truppe Skitourengeher herauf.
Wir folgen der Spur die uns Klaus routiniert anlegt. Unterhalb des Gipfels gibt’s Vesper, die Schneefläche ist schön eben und wunderbar von der Sonne beschienen. Wir sehen die ersten Skitourengänger oben am Gipfel ankommen. Sie haben ca. 50 m unterhalb die Skier deponiert und sind dann unschwierig über die Felsen aufgestiegen. Bis dahin muss allerdings noch der Aufstieg entlang eines steilen Schräghangs überwunden werden. Der Pfad ist eng und eisig und jeder Schritt fordert Konzentration. Wir gewinnen schnell an Metern und können bald die Schneeschuhe abschnallen. Zum Gipfel geht’s nochmal richtig steil hinauf mit ein wenig Kletterei in Fels und Schnee. Und da ist der Lohn. Ein phantastisches Rundumpanorama. Da ragt die Wildspitze deutlich über die Dreitausender des Ötztals hinaus und weiter dahinten sind die Berge der Silvrettagruppe, einer sieht den Großglockner auf der anderen Seite. Ich meine in den Lechtaler Alpen die Wetterspitze zu erkennen.

 

Zurück in der Hütte können wir auf der Terrasse noch die letzten Sonnenstrahlen genießen. Schnell wird es aber kalt und da ist in der warm geheizten Gaststube der richtige Platz. Wir kennen uns jetzt aus: richtiger Tisch, Schneeschuhe in den Keller und Schuhe in den Trockenraum. Da kommt Patrone Ernesto: Wer möchte schon eine Suppe anstatt heute Abend? Wir haben Halbpension und es gibt jeden Abend Suppe, Hauptspeise und ein Dessert. Schon gestern Abend waren wir begeistert von dem Essen. Ja geht das denn, die Suppe schon am Nachmittag? Ja natürlich! Und ich esse kein Fleisch, traut sich jemand. Was, keine Fleisch? Ja ich auch, melden sich noch drei. Wenn ihr vegetarisch essen wollt, müsst ihr ins Tal gehen, da gibt es frisches Gemüse. Hier oben haben wir nur Fleisch. Und dann folgen noch ein paar Phrasen über Vegetarier. Heute haben wir noch Penne mit Tomatensauce, Kräutern und Parmesan, Kaspressknödel auf Salat und Pilz-Rahm-Sauce auf Farfalle.
Spätestens hier wird dir klar, der Ernesto ist gar nicht so, der tut dich nur gern ein bisschen ärgern. Gestern Abend hat jeder einen großen Teller frischen Salat beim Menü gehabt, mit hausgemachtem Dressing, genau so, wie’s auf der Hüttenseite im Internet (www.westfalenhaus.at) drin steht. Und jetzt nur Fleisch aber drei leckere vegetarische Gerichte.

 

Zum Längenfelder Weißkogel (3.217m) ist es etwas weiter und das soll dann auch die Haupt-Tour unserer Tage werden. Wir brechen auf in Richtung Süden, das Längental hinauf. Die kahlen, finsteren Felswände stehen Spalier.Nach zwei Stunden taucht der Gipfel auf, etwa 400 m weiter oben, auf der rechten Seite. Ein weiter Blick tut sich auf ein ausgedehntes Schneefeld auf, das zum Ende hin noch recht steil wird. Nach einer weiteren Stunde sind wir direkt unterhalb des Gipfels. Die Skitourengeher schnallen hier ab, wir können aber mit den Schneeschuhen bis zum Gipfel hinaufgehen. Oben ist der Blick wieder phantastisch, wie gestern. Rundumblick und super Fernsicht. Wir sind begeistert und es findet sich auch ein Plätzchen zum Vespern, es geht kein Wind und die Sonne gibt viel Wärme.

Unten in der Hütte angekommen setzt sich der Sohn von Ernesto zu uns, der Rinaldo. Er ist der Pächter und der eigentliche Hüttenwirt. Seid’s übern Längentaler Ferner gegangen über die Spalten, in der damals der Wanderer sechs Tage gesessen war. Das war ja direkt ein Wunder, dass man den noch lebend herausgeholt hat. Ja das war hier oben, erzählt er und vorher war er noch bei uns Essen.
Aha, die Gletscher heißen hier also Ferner. Das Längental war vor 50 Jahren noch bis zum Westfalenhaus hin vom Längentaler Ferner aufgefüllt. Heute sind wir über seine Moränen-Ablagerungen gestiegen und an den Talflanken sind auch die typischen Ausschabungen zu erkennen. Im Winter nicht so gut, wie im Sommer.
Da kommt wieder Ernesto an den Tisch. Du hattest doch noch gar keine Suppe, magst du jetzt? Und wo sind denn die beiden anderen, die hatten auch noch keine Suppe. Nimmst du wieder ohne Fleisch? Unser Ernesto hat den Service wirklich im Griff, der weiß genau, wer was will. Von seiner Kindheit an ist er Kellner, hat er uns erzählt, hat in einem sehr guten Haus in Italien gelernt. Seit 15 Jahren macht er die Hütte zusammen mit seinem Sohn, das war die Zeit, als er sich zu Ruhe gesetzt hat. Heute ist er 77 Jahre alt. Die Kapelle vor dem Haus, hat er für seine Frau gebaut, als sie vor 5 Jahren gestorben ist. Das war eine gute Frau, sechs Kinder haben sie groß gezogen und aus allen ist etwas geworden.
Eine Tochter ist auch in der Hütte, die Sandra, sie ist am Abend immer dabei und sie macht die Reservierungen.
Am Morgen sieht er, wie einer eine belegte Semmel in eine Serviette einpackt. Der kennt ihn noch nicht! Was machst du da? Der arme Kerl wird sofort puterrot im Gesicht und weiß nicht, was er sagen soll. Das geht bei uns nicht, dass du dir Jausenbrot vom Buffet in der Serviette mitnimmst. Legt Ernesto nochmal nach und fügt dann hinzu: Wir haben extra Alufolie hingelegt und damit kannst du deine Semmel einpacken. Bei uns nimmst du mit, was du für den Tag brauchst, ist ja selbstverständlich. Wir an unserem Tisch schmunzeln. Schon wieder ist einer reingefallen.

 

Beim Aufbruch am dritten Tag sieht es draußen verheißungsvoll aus, auch wenn die Vorhersage anders war. Es ist ein Sturmtief von Italien angekündigt, das Schneefall und Temperaturen bis -14°C  bringen soll. Wir machen uns bei gewohnt strahlend blauem Himmel auf den Weg, aber kalt ist es und der Wind hat deutlich zugelegt. Das Ziel heute ist die Schöntalspitze (3.002m). Nach einer knappen Stunde Wanderung Richtung Norden zieht sich der Himmel zu. Bald fegt uns auch der Schnee um die Ohren. Die Jacken werden dichter geschlossen und jeder zieht sich die Kapuze über den Kopf. Die Gewalten spielen ihr Spiel mit uns. An diesem Tag kommt alles zusammen, was wir zuvor nicht hatten: Sturm, Schnee und eisige Kälte.
Wir kommen an die Stelle, wo auf der Karte (DAV 32/1) die Höhenlinien so eng werden, dass man kaum mehr einen Abstand erkennen kann. Wenn du den Arm vor streckst, berührst du den Berg. Die Schneeschuhe finden schwerlich Halt, der Untergrund ist eisig und extrem steil. Hier im stark verharschten hochalpinen Gelände wird der Unterschied im Material deutlich. Wer keine aggressiven Harscheisen am Schuh hat, ist hier schier verzweifelt. Die Bindung muss stabilen Halt bieten, also den Schuh fest am Schneeschuh fixieren.

Vor dem Gipfel gibt es eine Scharte bei 2.993 m, nacheinander kommen wir dort an. Schaust du zurück, scheint es senkrecht abzufallen, da quälen sich die Kameraden noch nach oben. Es geht ein eisiger Wind, die Böen scheinen uns umzuschmeißen. Daher entscheiden wir: Die Scharte ist unser Ziel. Der Aufstieg ist eine Kletterei in Eis und Fels und dauert mindestens eine halbe Stunde. Das machen wir nicht und es geht erhobenen Hauptes an den Abstieg. Der ist allerdings nochmal eine echte Herausforderung und große Anstrengung, besonders wenn der Schneeschuh nicht den erforderlichen Halt bieten kann.
Wir treffen uns auf der Münsterhöhe, einer kleinen Kuppe in der Nähe des Westfalenhauses, aber mit Gipfelkreuz. Mittlerweile hat sich das Wetter etwas beruhigt und wir machen hier das Gipfelfoto, die Schönspitze im Hintergrund, die haben wir heute nicht geschafft.

 

Der nächste Tag ist schon unser Abreisetag. Nach dem Frühstück machen wir uns auf, wir fürchten den Fernpass am Sonntag und die Autobahn nach Ulm, wollen früh dran sein. Vorher gibt es noch einen großen Abschiedsbahnhof mit Ernesto, Rinaldo und Sandra, alle auf ein Foto und nochmal anders aufstellen und lächeln. Es ist ein herzlicher Abschied. Als wir dann bei der Kapelle vorbeikommen, gehen wir mit Wehmut. Ein bisschen fehlen sie uns schon jetzt, die besonderen, aber ungemein herzlichen Wirtsleute und die tolle Atmosphäre im gemütlichen Westfalenhaus.

 

Text: Olaf Schoo
Bilder: Marco Zoll

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