Mit Regenschirm und Eispickel in den Ötztaler Alpen,
27.07.-30.07.2014

Wenn man in die Ötztaler Alpen fährt, diesem größten zusammenhängenden vergletscherten Gebiet der Ostalpen, hat man meistens blauschimmernde Gletscherflächen, firnglänzende Bergflanken und ein Gipfelpanorama bis zu den Tauern, den Dolomiten und dem Engadin im Sinn. Diesmal hatten wir nicht gerade perfekte Verhältnisse erwischt, aber wer die Berge liebt, hat bekanntlich ihre Bedingungen zu akzeptieren.

 

Sonntag, 27.07.2014. Nach einer unkomplizierten Fahrt über Ulm / Kempten / Fernpass / Ötztal setzen wir unsere Fahrzeuge im berühmten Bergsteigerdorf Vent auf den Sammelparkplatz des Hotels Alt-Vent. Im Vergleich zu Sölden mutet die Ortschaft direkt beschaulich an, obgleich der alte Ortskern sich hinter die eine oder andere Hotelanlage ducken muss. Die Parkgebühren sind österreich-üblich recht fürstlich, aber es bleibt keine Alternative. Über den Himmel ziehen immer wieder grau verhangene Wolken und so sputen wir uns, das Gepäck zu schultern und das Niedertal Richtung Martin-Busch-Hütte zu durchsteigen. Der einen oder anderen Regentropfen gibt uns einen Vorgeschmack auf das instabile Wetter, das uns auch in den nächsten Tagen am Alpenhauptkamm begleiten wird. Schon nach ca. 2,5 Stunden schlagen wir auf der Hütte auf und beziehen ein recht schnuckeliges 14-Betten-Lager. Die Martin-Busch-Hütte (2.501 m) der Sektion Berlin des DAV wurde als „Hermann-Göring-Hütte“ 1938 erbaut. Einen Vorgängerbau gab es aber schon. Dass sich der leicht adipöse Namenspatron hier einmal blicken ließ, kann man sich allerdings nur schwer vorstellen, zumindest nicht zu Fuß. Mitte der 50 er-Jahre durfte dann der unverfänglichere ehemalige Pächter Martin Busch als Namensgeber einspringen. Tempora mutantur. Trotzdem sollen einige unverwüstliche Wolldecken mit der zeitgenössischen 1000-jährigen Emblematik noch bis in die frühen 80 er-Jahre in den Lagern in Gebrauch gewesen sein. Ausnahmen gibt es halt immer. Um den Nachmittag bis zum Abendessen noch etwas auszunutzen wird Spaltenrettung per loser Rolle in der 3er-Seilschaft geübt.

 

Am nächsten Tag, der laut ZAMG Innsbruck akzeptable Bedingungen verspricht nehmen wir dann auch gleich die Königsetappe in Angriff, den Similaun (3.606 m) im Ötztaler Hauptkamm. Um 05.30 Uhr geht es zunächst am linken Rand des Niedertalbachs südlich, bei ca. 2.800 m queren wir östlich auf den zum Marzellkamm ziehenden Ausläufer des Niederjochferners. Angeseilt geht es zunächst etwas steiler an den recht düsteren linksseitigen Wänden entlang. Doch siehe da, als wir in den flacheren Teil des Gletschers einmünden, grüßen uns Sonnenstrahlen und im blinkenden Morgenlicht erscheinen im weiten Rund die Hintere Schwärze, die drei Marzeller Spitzen und weiter westlich schließlich auch die verfirnte Nordwand des Similaun. In dieser verzauberten Atmosphäre steigt es sich trotz recht tiefgründiger Gletscherauflage auch gleich leichter. Wir gehen in Richtung einer Einsattelung am westlichen Ausläufer des Gipfelaufbaus und von dort über eine kurze felsige Steilstufe und den verfirnten Grat hoch zum Gipfel, der sich bald in Wolken hüllt und die Tiefblicke ins Schnals- und Pfossental allenfalls erahnen lässt. Trotzdem ist oben recht viel Betrieb. Die meisten haben den kürzeren Anstieg von der Similaun-Hütte (3.019 m) gewählt. Nach kurzer windiger Gipfelrast geht es auch schon wieder hinab, wir laufen die Similaun-Hütte am Niederjoch zur verdienten Mittagspause an. Eine gute Entscheidung, kaum im Gastraum ziehen auch schon die ersten Regenschauer von Süden rein. Da hat sich die Frage, die Ötzi-Fundstelle am Tisenjoch (3.200 m) noch mitzunehmen auch schnell erledigt. Nachdem wir uns gestärkt haben, geht es in einer Regenpause über die linksseitige Randmoräne des Niederjochfernes hinab Richtung Niedertal, so dass wir bereits um 14.30 Uhr wieder an der Martin-Busch-Hütte eintreffen.

 

Der Dienstag verspricht keine Wetterbesserung, im Gegenteil allenfalls morgens einige Nicht-Regen-Fenster. Angesichts dieser Aussichten und diverser Terminprobleme steigen 2 Teilnehmer mit Kai am Morgen nach Vent ab. Der hartgesottene Kern möchte aber zumindest noch einen Gipfel mitnehmen und so steigen wir im Regen Richtung der unschwierigen Kreuzspitze (3.457 m), dem Hausberg der Martin-Busch-Hütte. Wir passieren den 1961 durch eine Lawine zerstörten Vorgängerbau. Nach ca. 1 Stunde wird der Regen schwächer und hört schließlich ganz auf. Auf Sömen dann die Überreste der Brizzi-Hütte; wir sind auf den Spuren von Franz Senn und Cyprian Granbichler. Über Schrofengelände und Fels geht es auf den Südostgrat, der in Firn übergehend schließlich am Gipfelaufbau endet. Keine Sicht, aber wenigstens trocken. Fast gespenstische Atmosphäre am Gipfelkreuz. Im Abstieg grüßen tatsächlich einige Sonnenstrahlen und so lassen wir es uns nicht nehmen, uns auf den weiten Terrassen der Sömen ein wenig auf den Felsen zu wärmen. Das eine oder andere Murmeltier tut es uns gleich. Nachmittags steigen wir bei trockener Witterung noch eine kurze Strecke am Marzellkamm Richtung Marzellferner. Der ganze Weg ist aufgrund Bergsturz nicht begehbar. Auf dem Pfad kommen uns 2 unerschrockene Tiroler Bergsteiger, die von einer Besteigung der Nordwand der Hinteren Schwärze kommen, entgegen. Wer das hinter sich hat, muss anscheinend auch Bergsturzgefahr nicht fürchten.

 

Da sich der Wetterbericht gehörig vertan hatte, hat sich die Gruppe entschieden, den Mittwoch trotz wiederum schlechter Aussichten (Norditalien-Tief) recht optimistisch anzugehen. Eine Gletschertour erscheint aber gleichwohl zu heikel. Stattdessen darf es dann der Saykogel (3.340 m) mit anschließendem Abstieg über das Hochjochtal zum Hochjoch-Hospiz sein. Unsere Hochtouren-Ausrüstung schicken wir per Jeep nach Vent. So geht es mit leichtem Gepäck, aber bei Dauerregen, hoch zum Saykogel. Es empfängt uns ein eisiger Wind. Wir beeilen uns, den Westgrat bis zu den Firnfelder zu überwinden. Das Regen- und Schuhzeug ist heute einer Belastungsprobe ausgesetzt, die jedem Materialtest-Szenario Ehre machen würde. Auf halber Strecke kommt uns ein Familienvater in kurzen Hosen mit Anhang entgegen; es geht halt immer noch eine Spur härter. Schließlich erreichen wir die Brücke am Hochjochbach und im Anschluss auch den Übergang an der Rofen-Ache. Der kurze Gegenanstieg zum Hochjoch-Hospiz (2.412 m) ist schnell überwunden. Die Hütte ist randvoll mit regenflüchtigen Wanderern und Bergsteigern, aber die Wirtsleute sind nett und die Frittaten-Suppe hervorragend. Mit nur ansatzweise getrockneten Stiefeln und Hosen geht es nach 2 Stunden durch das malerische, sich stellenweise schluchtartig verengende Rofental zurück nach Vent. Und sogar der Regen hat aufgehört.

 

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass auch durchwachsene Bedingungen noch erlebnisreiche Touren erlauben, zumindest bei guter Stimmung mit einer hervorragend motivierten Truppe. Sicherlich nicht die letzte Ausfahrt in die Ötztaler.

 

Text
: Michael Früh
Bilder: Katja Siegmann, Kai Häberle, Kai Schröder

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